Raum der Zeit – Zeit der Räume
In exemplarischer Art und Weise spiegelt das Berliner Kulturforum eine Raumvorstellung von Stadt des vergangenen Jahrhunderts wider: die Stadtlandschaft. Die dahinterstehende relationale Raumauffassung weist auf den Paradigmenwechsel und die Hinwendung zum naturwissenschaftlichen, genauer physikalischen, Raumbegriff im frühen 20. Jahrhundert hin. Die Vorstellung von der Raumzeit ist mit der Vorstellung der Stadtlandschaft verbunden. Naturraum und Stadtraum werden in der Konzeptualisierung in Eins gesetzt, der Gegensatz von Stadt und Land aufgehoben. Das Kulturforum zeigt sich als „offene Stadt“. Auch die verhältnismäßig späte Umsetzung dieser Vorstellung in den ausgehenden 50er und 60er Jahren der Nachkriegszeit ändert insofern nicht die kulturhistorische Bedeutung des Ortes und seiner stadtlandschaftlichen Komposition.
Respektvoll und Behutsam mit der Geschichte umzugehen darf gleichwohl nicht bedeuten, zu ihr zurückzukehren. Die Stadtlandschaft und die Entgrenzung des architektonischen Raums weisen auf die zukunftsorientierten Vorstellungen der Vergangenheit hin, die nach einer veränderten und sich weiterhin verändernden Zeitordnung nicht mehr mit unseren heutigen Vorstellungen von Stadt und von Architektur übereinstimmen. Das Museum des 20. Jahrhunderts erfordert an Ort und Stelle eine Konzeption des 21. Jahrhunderts.
Auf den Raum der Stadtlandschaft antwortet der Entwurf mit Räumen der Stadt – mit einer „Stadt der Räume“, auf die Entgrenzung von Raum mit Sequenzen von gebundenen Innenräumen und auf die kompositorische Ordnung der Solitäre mit einer Korrespondenz räumlicher Situationen.
Für Stüler
In der Stadtlandschaft wirkt die St.-Matthäus-Kirche von Friedrich August Stüler weniger als ein konstituierendes Element und mehr als ein anachronistisches Fragment. Der Entwurf des Museums integriert den Bau und gibt der Kirche einen städtisch gebundenen Raum zurück, einen Platz im eigentlichen Sinn, für den etwa sie ursprünglich gedacht gewesen war. Gelber und roter Backstein binden Neubau und Altbau in materialer, maßstäblicher und vor allem räumlicher Gemeinschaft zusammen.
An Mies
Der Skulpturenhof nimmt die Adresse des neuen Museums auf. Die Raumbildung des Hofes steht in gleichen Abmessungen mit dem verglasten Universalraum der Nationalgalerie in einem komplementären Verhältnis. Dem endgrenzten Innenraum steht der monolithisch umschlossene Hof gegenüber. Die Dialektik von Innen und Außen, von Geschlossenheit und Offenheit, von Räumen und Raum bestimmen die gedankliche und inhaltliche Beziehung der beiden Gebäude.
Mit Scharoun und Gutbrod
Zur Piazzetta und zum Scharounplatz tritt das große Geviert des Neuen Museums in eine räumlich wirksame Korrespondenz mit der „offenen Stadt“. Rücksprünge, Öffnungen und plastische Gestaltungen stiften kleinere und größere Situationen, die der Nachbarschaft der Solitäre und dem weiten Feld der Stadtlandschaft Rechnung tragen.
Orträume der Kunst
Die Ausstellungsräume sind auf drei Ebenen angeordnet. Unter dem Skulpturenhof liegen die Sammlungsräume für die Kunst vor 1945. Auf der mittleren Ebene, die das Foyer am Hof aufnimmt, verbinden die Sonderausstellungsbereiche für wechselnde Sammlungspräsentation und überhohe Installationen mit der unteren und der oberen Ebene, auf der die Kunst nach 1945 gezeigt wird.
Unter dem Oberlicht des gefalteten Daches ermöglicht die quergelagerte Treppenhalle eine repräsentative, vertikale Zirkulation. Die äußeren und inneren Rundgänge durch die Ausstellungen der drei Ebenen führen über die Treppenhalle zum Foyer und zum Hof zurück, an dem auch der Buchladen und das Restaurant liegen. Vom Hof führt die große Freitreppe zur Dachterrasse. Beide Orte, Hof und Terrasse, sind als erweiternde äußere Ausstellungs- und Installationsflächen gedacht. Die Terrasse, die bei Veranstaltungen auch vom Restaurant angedient werden kann, gibt den Blick in die Stadtlandschaft frei.
Projekt: Museum des 20. Jahrhunderts und seine städtebauliche Einbindung
Anmerkung/en: [Wettbewerb: Entwurf, Modell]
Ort: Berlin
Jahr: 2015 - 2015