Bet- und Lehrhaus Petriplatz, Berlin 2012
Aus dem Inneren heraus
Über die Fundamente einer intrinsischen Raumentfaltung
Für gewöhnlich wirft der Entwurf zwei wesentliche Fragen auf: einerseits vom Äußeren her nach dem Topos, also nach der Räumlichkeit des bestehenden Ortes, der hier als Stadt in Betracht kommt, und andererseits vom Inneren her nach dem Typus, also nach der Räumlichkeit des gesuchten Hauses, das mit der sakralen Widmung zunächst begrifflich beschrieben ist. Aber bereits die Analyse des Ortes führt unmittelbar vom Äußeren ins Innere und in die Tiefe. Die gegenwärtige, oberirdische Stadt erscheint dagegen seltsam blass, nur als Hintergrund ist sie wahrnehmbar, als Stadt des Augenblicks, während die Gedanken hinabführen zu den Schichten ihrer Entstehung. Die Fundamente der vorausgegangenen Bauten verkörpern die Überlieferung der Stadt von ihrem Anfang her und machen die kontinuierliche formale und räumliche Veränderung des Ortes nachvollziehbar. Und in der Weise, in der die Grundrisse übereinanderliegen, sich vergrößern, verkleinern und verdrehen, wird der Ort in der Raumarchäologie als Stadt kultureller Horizonte vorstellbar. Nicht also im Äußeren, sondern hier im Inneren beginnt die Rücksicht auf die Stadt. Und die neue Einteilung der Räume geht auf den letzten Grundriss zurück.
Haus und Häuser
Missing Link – oder über fehlende typologische Wurzeln
Die Idee des Berliner Lehr- und Bethauses, die drei Religionen unter einem Dach im Sakralbau zu vergemeinschaften, lässt historisch-typologische, bauliche Vorgänger vermissen. Weder der Tempelberg, der in seiner heutigen Verfasstheit über die jeweiligen theologischen Bedeutungen hinaus nicht mehr sein kann, als die Summe seiner wechselvollen Geschichte, noch etwa die Geburtskirche oder auch die Grabeskirche, die einen polykonfessionellen Gebrauch aufrechterhalten, können schon wegen der unsteten Chronologie ihrer Entstehung als umstrittene heilige Orte der Idee einer raum- und zeitgleichen Gemeinschaft der Religionen zum Vorbild gereichen.
Weder soll der Bau allein eine Synagoge, noch eine Kirche oder auch eine Moschee vorstellen, wohl aber einen heiligen Ort markieren, einen Sakralbau stiften, der sich als solcher im Charakter schon vom Äußeren her unmittelbar und unmissverständlich im städtischen Gefüge als Haus Gottes zu erkennen gibt. Der Entwurf verlässt sich dabei ganz auf das Urbild „Haus“, auf die archaische Anmutung des Einfachen und auf eine „Vorstellung von Vergangenheit, in der die Zeiten sich bespiegeln“.
„Haus“ ist das durchgängige Motiv des Baus, es tritt in allen Formen und Räumen auf: Das große Haus setzt sich aus den Häusern der Religionen zusammen und aus dem der Pforte, die Zimmer und Wege des Inneren stellen sich räumlich als Häuser vor, über die Häuser der Öffnungen korrespondieren sie untereinander wie auch mit dem Äußeren und die vielen Häuser der Nischen sind Schrank und Schrein, bergen Artefakte, halten Sitze zum Verweilen bereit und in der Bibliothek nehmen sie die Bücher auf.
Der Platz der versammelten Religionen
Über die Gesellschaft der Häuser in Formen und Räumen
Und in der Weise, in der das große Haus auf Häusern aufbaut, sind auch die unterschiedlichen sakralen Räume auf differenzierte Weise von Haus und Häusern bestimmt. Der jüdische Versammlungsraum erhebt sich auf hexagonaler Grundfläche. Die an sechs Seiten aufsteigenden Wände weisen sich als giebelständige Häuser aus, die sich zu einer Krone unter dem Giebeldach öffnen. Das Oktogon des gemeinschaftlichen islamischen Gebets schließt unterhalb des Giebeldaches mit einer Kuppel ab, die sich mit acht aufgehenden Giebelwänden verschneidet.
Der christliche Versammlungsraum erhebt sich auf tetragonalem Grundriss und zeichnet in seinen raumbildenden Wänden die innere Kontur eines giebelbedachten Hauses nach. Über die Öffnungen der Emporen lässt sich das farbige Licht in die inneren Räume führen.
In der Mitte des Baus, über der Vierung der vorausgegangenen Kirche, steigt der urbane Gemeinschaftsraum als Platz der versammelten Religionen auf. Die hohen Giebel des Gevierts repräsentieren am Platz die äußeren drei Häuser der Religionen und das Haus der Pforte. Und hinter den Giebeln steigen weitere Giebel in die Höhe, die sich im Turm unter dem Zelt zum Licht hin öffnen.
Die Farbe Weiß und andere Farben
Von der Polychromie des „inneren Eindrucks“ zur Monochromie des „äußeren Ausdrucks“
Die Raumschale der inneren Zimmer und Wege ist vollständig polychrom gehalten – die Böden, die aufgehenden Wände und die Giebeldächer, die sich auch in den Decken plastisch abzeichnen, sind vollumfänglich mit farbigen Backsteinen festlich geschmückt.
Die Wahl der Farben ist mit Bedacht gewählt. Zahlreiche Referenzen und Reminiszenzen führen bis in die frühen Kulturgeschichten der Religionen zurück. Dabei kommt dem farbigen Backstein nicht nur die ästhetische Bedeutung der Dekoration zu, sondern zugleich auch die der analogen Dekoration, in dem er die handwerkliche Konstruktion des Baus veranschaulicht, im Vordergrund aber steht die Verwendung der Farbe in einer allegorischen Bedeutung der Dekoration. Die Farben der Steine gehören den Räumen: Der saphirblaue Grundton bestimmt in seinem Verlauf vom Purpur bis zum Weißblau die Atmosphäre des jüdischen Festraumes, in das verlaufende Smaragdgrün des Oktogons und seiner Kuppel, das dem islamischen Gebet vorbehalten ist, mischt sich ein Sandgelb ein und das Rubinrot in Abstufungen bis ins Orange ist der christlichen Versammlung gewidmet. In der Mitte des Baus, am Platz der versammelten Religionen, begegnen sich die Farben und vermischen sich zur Vielfarbigkeit des Regenbogens. Von unten nach oben nimmt die Intensität der Farben ab, bis sie sich in der hellen Farbigkeit des Lichts verliert, das über den oberen Fenstergaden des hohen Hauses einfällt.
Den Farben der Steine entsprechen die Farben der Gläser. Die Häuser der Öffnungen stiften die räumliche Korrespondenz und führen das Licht zu den inneren Farben der Steine. Auch das Licht selbst ist farbig – die den Gläsern zugesetzten Pigmente scheinen das Licht in den Räumen zu materialisieren. Erst mit der äußeren Dunkelheit kehrt sich die farbräumliche Korrespondenz der Öffnungen zwischen Außen und Innen um: Laternen in der Nacht.
Das Äußere des Baus ist dagegen vollständig monochrom gehalten – der weiße Backstein verallgemeinert die äußere Gestalt des Hauses in der Stadt und bindet die innere Differenz der Vielfarbigkeit ein. Im Inneren aber tritt der Backstein in der ganzen Farbigkeit des Spektrums auf. Er bekennt Farbe, zeigt eigene Freiheit, die er zugleich aber stadtschonend in die Allgemeinheit des Äußeren zurückführt.
„Es spreche das Material für sich und trete auf, ...Backstein erscheine als Backstein, ...“.
Was der Ziegel kann oder über die Union von Material und Farbe
Der Backstein baut das Haus – im Äußeren: weiß. Die weiße Engobe des Wasserstrichziegels über dem Braun der erdgebundenen Scherben fällt hier deckend aus, dort opak und manche Stellen lässt der dünnflüssige Tonschlicker gänzlich aus. Und das Fugeisen, das die weißen Kanten mitunter verletzt, beschädigt oder auch bricht, lässt das tiefe Braun hervorkommen. Nur das farbige Gussglas der Öffnungen durchbricht die äußere Monochromie des Baus. Die in Eisenformen gegossenen farbigen Gläser lassen sich als rautenförmige Steine in den Öffnungen zu lichten Füllungen vermauern. Nach außen weisen sie mit der Farbe auf die inneren Räumlichkeiten des Hauses und der Häuser hin.
Der Backstein errichtet Räume – im Inneren: inmitten vieler Farben. Durch den Brennvorgang sind die farbigen Engoben mit dem Ton zu harten Steinen verschmolzen. So muss die Farbe nicht als nachträglich aufgesetzte „Maske“ erscheinen und tritt auf als Material. Und die Wände, Böden, Decken und Dächer bleiben als Gewand der Räume „der Stickerei des buntgewirkten Teppichs eingedenk“.
Projekt: Bet- und Lehrhaus Petriplatz
Anmerkung/en: [Wettbewerb: Entwurf, Modell]
Ort: Berlin
Jahr: 2012 - 2012