Höfe am Kaffeeberg, Ludwigsburg 2013
Der Ort in unmittelbarer Nähe zu Schloss und Park, die den barocken „außenräumlichen“ Ursprung der Stadt markieren, der Block im städtischen Gefüge, dessen mögliche räumliche und formale Reserven es zu bedenken galt und schließlich das Haus, dessen Bestand im Hinblick seiner Bedeutung und seiner Identität mit dem Entwurf zu bewerten und zu entscheiden waren, haben gleich eine Vielzahl grundsätzlicher architektonischer Fragen im Betreff von Ort, Block und Haus, also nach Stadt, aufgeworfen.
Innere Offenheit der Stadt
Die konzeptuelle Weiträumigkeit der großen barocken Schlossanlage mit Park verzahnt Stadt und Landschaft miteinander. Von Norden nach Süden reicht der weitläufige Park bis tief in die Mitte der Stadt, die sich dreiseitig am Rand des großen Außenraumes etabliert hat. Die breite Schlossstraße sorgt auf der Westseite für zusätzlichen Abstand und die die Straße einseitig begrenzenden, dicht geschlossenen Blöcke scheinen der Stadt im Inneren eine äußere Kontur zu stiften. Von der gegenüberliegenden Seite der Straße stellt sich der Eindruck ein, als stände man noch vor der Stadt, und erst nach dem Überqueren und mit dem Erreichen der inneren Straßenräume zwischen den Blöcken erschließt sich das räumlich-gebundene Innere der Stadt. Die besondere Disposition zwischen dem weiten landschaftlichen Außenraum und den begrenzten urbanen Innenräumen weist den Randblöcken und insbesondere den nach „außen“ orientierten Häusern eine hohe stadträumliche Bedeutung zu.
Block mit Hof
Einesteils erhielte der betreffende Block an der südöstlichen Ecke mit dem neugestaltenden Umbau des bestehenden Hauses seine nach außen gerichtete repräsentative Erscheinung zurück und komplettierte mit seinen nördlichen Blockrandnachbarn das historische Ensemble. Anderenteils entstände im Blockinneren eine 6teilige Hofanlage. Der im Binnenbereich angelegte Kernraum des Hofes erschiene „öffentlich“ gewidmet, über den Hof gewährten die sechs Häuser Zugang und Einlass.
Einstülpung des Äußeren oder Veröffentlichung des Inneren sind ein und derselbe Gedanke, der das Raumkonzept für den unmittelbaren Ort nach sich zieht: Hof im Block. Die sich ergebenen Raumfolgen verknüpften Neu und Alt, private, halböffentliche und öffentliche Sphären und ließen mit der komplementären Raumbildung zwischen den unregelmäßigen „inneren“ Blockrändern und den vor- und rückspringenden „äußeren“ Wänden der sechs Häusern ein Gefüge von Wegen und Orten entstehen.
Die Topographie des Erdbodens würde von West nach Ost Gefälle in den mittigen Hof bringen, das sich mit seitlichen Auf- und Abgängen, Stufen und Treppen beständig im Sockel ausgliche.
Topos und Typus
Nettes Eckhaus, das schon früh nach erstem Umbau zu „dem“ Ludwigsburger Kaffeehaus avancierte, zeigt ein - im gegenwärtigen Bestand zwar völlig entstelltes - aber dennoch erkennbar typisches, bürgerliches Wohnhaus seiner Zeit, gleich so oder ähnlich, wie es auch heute noch an vielen Orten mit seiner Fassade den Stadtraum prägend anzutreffen ist: Auf einem mitunter wegen des abschüssigen Erdbodens recht hoch anstehenden Sockels mit vorgelagerter Treppe setzt eine symmetrische, regelmäßig gegliederte, siebenachsige Wand auf, die ein recht steil aufsteigendes Walmdach nach oben begrenzt, das in den drei mittleren Achsen von einem Dacherker oberhalb des Portals durchbrochen wird. Eine solche äußere Erscheinung setzt eine ebenso einfach wie klar gegliederte innenräumliche Disposition voraus. Die sechs Wohnhäuser, die den Hof in der Mitte des Blockes auswiesen, blieben obgleich einer notwendig erscheinenden Transformation dem ursprünglichen Typus in Raum und Form verpflichtet.
Hommage an Nette
Ein „einfacher“ Abriss von Nettes Haus kam nicht in Frage – aber obgleich der Bedeutung des historischen Ensembles schied auch seine getreue Rekonstruktion wegen des weitreichenden Verlusts an Originalität alsbald aus. Was sich an konzeptueller Substanz hat finden und verabschieden lassen, führte zur analytische Arbeit am Typus des Hauses, am Charakter seiner äußeren Erscheinung und stiftete nicht zuletzt eine seitlich-öffnende Geste zu den Räumen zur Stadt.
Die Krusten und Ablagerungen verschiedener Zeiten, die den Bau über- und schließlich auch verformt haben, wären vollständig zu entfernen. Nach Korrekturen könnte die verbleibende „Rohfassung“ des Baus zur Grundlage für einen erneuernden Auf- und Umbau herangezogen werden. Dabei zielt der Entwurf nicht auf einen ohnehin zweifelhaften Versuch der Wiederherstellung des Vergangenen, sondern auf eine Annäherung an das, was den Kern des Hauses auszeichnet, auf den Typus und in der Folge auch auf seinen nach außen tretenden Charakter. Man könnte insofern von einem Vorgang der Verallgemeinerung sprechen, der das Haus auf das Grundsätzliche zurücksetzte und ohne jede Täuschungsabsicht als zeitlos erscheinen ließe. Hier nun spätestens stellte sich die Frage nach der Identität des Hauses, eine Frage, deren Antwort im Fall des Theseus´ Paradoxons nur mehrdeutig hatte ausfallen können: Die konzeptuelle Antwort des Entwurfes aber lautet: Es ist „auch“ Nettes Haus.
Widmung und Geste
An der Ecke sollte wieder ein Kaffeehaus eröffnen. Auf der Westseite zum Schloss hin bekäme das Haus sein repräsentatives Portal zurück. Vom Vestibül ließen sich die Gaststätte im Erdgeschoss und Büroräume sowie eine Wohnung in den beiden Obergeschossen erschließen. Die „Café/Bar“ mit Küche würde das gesamte Parterre einnehmen. In der Mitte öffnete sich der Hof mit Laube seitlich zum „Kaffeeberg“, der eine Außenbewirtschaftung, ebenerdigen Zugang und im hinteren Bereich, in dem Küche und Waschräume unterbracht wären, auch die Anlieferung erlaubte. Über die südliche Laube öffnete sich der Hof mit einladender Geste zur Straße. Auf der darüber gelegenen Ebene ließen sich Büro- oder Praxisnutzungen unterbringen, die sich nach außen und/oder zum Hof orientierten. Im zweiten Obergeschoss könnte eine kleinere Wohnung untergebracht werden.
Ähnliches gälte auch für die sechs dreigeschossigen Wohn- und Geschäftshäuser im Binnenbereich des Blocks. Die darunterliegende Tiefgarage hielte annähernd 100 Stellplätze vor.
Steinsockel und –farbigkeit
Alles geht auf das Bauen zurück: auf die Materialien, das Handwerk, auf die Details und vor allem auf die Sorgfalt in allen drei Bereichen: Die Sockel würden aus Steinen aufgemauert, die in der Region vorkommen - ausgesucht würden Sandsteine mittlerer und recht homogener Farbigkeit. Der Putz der aufgehenden Wände richtete sich in seiner mineralisch-pigmentierten Farbigkeit nach den Sockelmauerwerken und die Eichenhölzer der Füllungen behielten eine naturnahe Anmutung. Das Dach wäre in Schiefer abgedeckt.
Projekt: Höfe am Kaffeeberg
Anmerkung/en: [Wettbewerb: Entwurf, Modell]
Ort: Ludwigsburg
Jahr: 2013 - 2013